Segelverein MARE INCOGNITA
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Was bisher geschah –
​berichte von vergangenen Törns!

Törnbericht Tromsø–Longyearbyen

23/9/2024

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Von Laurenz Zellweger (Skipper) und Michael T. Ganz (Rewriting). Tief hängen die Wolken an diesem Samstagmorgen über Tromsø, der nördlichsten norwegischen Stadt. Die SY «Passage» liegt gut vertäut und mit perfekt aufgeschlagenem Gross am Pier im kleinen Stadthafen. Debriefing der Crew, die die Rennyacht von Ålesund hierher gebracht hat, und Begrüssung der neuen Crewmitglieder. Ich bin bereits am Vortag angereist, leider aber ohne mein Gepäck, das noch in Oslo auf den Weitertransport wartet.
 
Arbeiten in 23 Metern Höhe
 

Mit Jean-Marc, dem Skipper des vorangegangenen Törns, tausche ich mich über die Erfahrungen mit der «Passage» aus, damit ich weiss, was alles ersetzt oder repariert wurde, was nicht hundertprozentig funktioniert und wie der letzte Törn verlief. Die neuen Crewmitglieder Sue, Bruno und Sämi kümmern sich um die Verpflegung für die nächsten zehn Tage, Andi und Werni ersetzen die Running Backstays hoch oben im Mast – beides keine leichte Aufgaben.
 
Denn wer weiss schon, auf welches Menü wir in zehn Tagen Lust haben, wer was gerne mag, wer seekrank wird und keinen Appetit mehr hat und wann der nächste Lebensmittelladen am Horizont auftauchen wird? Und wieviel Trinkwasser für zehn Tage à sechs Personen? 1000 Liter? Oder reichen 50? Eine gute Art, sich etwas näher zu kommen, denn die neuen Crewmitglieder kennen sich nicht alle.
 
Eine Herausforderung ist auch der Ersatz der Backstagen, die seit vielen Jahren den 23 Meter hohen Mast der «Passage» vor dem Knicken bewahren. Werni, Neuling auf der «Passage» und noch keine 24 Stunden an Bord, wird gleich mit Klettergurt und doppelter Sicherung über die grosse Winsch in den Mast gehievt. Auf Deck sorgen Andi und ich dafür, dass das richtige Material bereitliegt. Nach gut drei Stunden sind sowohl Kombüse als auch Rigg ready to go, und gemeinsam mit der alten Crew geniessen wir ein wunderbares Dinner im Hafenrestaurant.
 
Start – und gleich wieder zurück
 
Ziel des 14-Tage-Törns ist die Inselgruppe Svalbard alias Spitzbergen, die auf rund 78 Grad nördlicher Breite liegt – weiter oben kommt nur noch der Nordpol. Wir wollen in Norwegens nördlichsten Fjorden beginnen und nah am Nordkap vorbei via die Bäreninsel Bjørnøya und die einsamen Fjorde Südspitzbergens nach Longyearbyen, der Hauptstadt Spitzbergens, segeln.
 
Sonntag, 8 Uhr früh. Mit grossen Erwartungen starten wir in unser Abenteuer. Andi steuert die «Passage» sicher aus dem Hafen und schwenkt in den Fjord nach Backbord Richtung Tankstelle ein. Doch wo genau liegt die Tankstelle? Wie war doch die Beschreibung im Internet? Liegt das grosse Fährschiff genau davor? Sue übernimmt das Ruder und legt die Yacht nach einer Vollwende direkt vor die Zapfsäule. Rasch Diesel gebunkert und alle Kanister gefüllt, dann Segel hoch und Motor aus – die Reise hat begonnen.
 
Unser Plan ist es, in den Fjorden Seebeine zu bekommen, uns nach drei Tagen den richtigen Wind zu schnappen und dann die Überfahrt nach Spitzbergen zu starten. Zweimal steuern wir also noch kleinere Häfen an. Doch irgendwas scheint mit dem Motor nicht zu stimmen. Er klingt seltsam, und das Schiff zieht ständig nach Backbord – keine ideale Ausgangslage für den Aufbruch in die Wildnis. Wir müssen herausfinden, wo das Problem liegt. Doch wie bei fünf Grad Wassertemperatur die Schraube kontrollieren?
 
Ein Fall für Andi. Mutig steigt er in seinen Neoprenanzug und taucht unter die «Passage» – nur um festzustellen, dass hier alles zum Besten steht: Der Propeller ist frei, die Yacht wird ihren Kurs halten können. Sämi hat in der Zwischenzeit die Angelrute ausgepackt, und schon nach kurzer Zeit zappelt der erste Fisch am Haken.
 
Wind, Wellen, Seekrankheit
 
Der Tag der Abfahrt ist gekommen. Wind und Wellen sind gecheckt, Verpflegung vorbereitet, Wachen eingeteilt; die Vorfreude mischt sich mit einer gewissen Anspannung. Auf den ersten Meilen will sich der Wind nicht an die Prognosen halten: Statt von Steuerbord kommt er von vorn, statt stark bläst er nur schwach. Doch kurz nach der Ausfahrt aus dem Fjord dreht er auf Kurs, und wir rauschen mit rund neun Knoten Richtung Norden.
 
Nicht nur der Wind, sondern auch die Wellen nehmen zu, und die vermeintlich auftrainierten Seebeine werden schwach. Anzeichen von Übelkeit machen sich bemerkbar, und es dauert nicht lange bis zu den ersten persönlichen Zuwendungen an die See. Ausser unserem Seebären Bruno wird es allen an Bord schlecht, doch ein paar Wachen später geht es zumindest der Mehrheit wieder besser.
 
Land in Sicht – oder doch nicht?
 
Der Wind bleibt stark, die Welle hoch, und wir kommen sehr gut voran. Wir sichten drei Orcas, einen Blau- oder Finnwal, mehrere Gruppen von Delphinen und zahllose Seevögel. Nach 260 Seemeilen, vorbei an Bohrinseln, aber ohne auch nur einem einzigen anderen Schiff zu begegnen, taucht am Horizont die Bäreninsel auf, mystisch in Nebel gehüllt – um gleich wieder zu verschwinden und für die nächsten Stunden nicht mehr zu erscheinen. War es nur Einbildung? Wie haben das die alten Seefahrer ohne GPS gemacht? Wie schiesst man die Sonne, wenn sie sich die ganze Zeit hinter den Wolken versteckt? Doch dann taucht Bjørnøya unversehens wieder vor uns auf. Wir haben den ersten Meilenstein erreicht.
 
Wir werfen den Motor an und streichen die Segel, um in die designierte Bucht einzufahren. Die Strömung nimmt zu, wir geben Gas – plötzlich zieht die Maschine nicht mehr, und aus dem Auspuff kommt weisser Rauch. Andi, unser Chefmechaniker, ist besorgt. Schon lege ich mir mögliche Taktiken zurecht, um unter Segel vor Anker zu gehen. Kein einfaches Unterfangen bei einer noch stehenden Dünung und der vorherrschenden Strömung von rund drei Knoten gegen den Kurs. Doch bald kommt Entwarnung: Gas etwas zurück, und der Motor läuft wieder normal. Maschine gut, alles gut: Nach 48 Stunden Überfahrt liegen wir auf 74 Grad Nord vor Anker. Eine Woche später wird sich herausstellen, dass die Dieselfilter stark verschmutzt waren und der Motor daher bei hohen Touren die geforderte Leistung nicht bringen konnte.
 
Von Gletschern und Growlern
 
Nach einem Besuch in der Funkstation auf Bjørnøya und – danke, Andi – dem Kauf eines einschlägigen Bäreninsel-Käppis im dortigen Souvenirshop lichten wir den Anker und nehmen die zweite Etappe in Angriff. Das digitale Weather Routing schlägt einen leicht östlichen Kurs vor, um nach rund einem Tag mit dem auf Südwest drehenden Wind nach Norden zu gelangen. Wir folgen dem Rat und erreichen ohne weitere Zwischenfälle die Südspitze von Svalbard und mithin den zweiten Meilenstein unseres Törns.
 
Wir folgen der Küste weiter nordwärts und biegen nach rund 420 Meilen rechts ab in den Hornsund. Hier tauchen wir ein in eine andere Welt: Die Sonne bricht durch, und vor uns liegen die ersten Gletscher. Das helle Blau der Eisabbrüche blendet unsere nebelverhangenen Augen und weckt unsere Lebensgeister. Wir segeln vor dem auffrischenden Wind in den Fjord hinein und müssen sehr gut nach Eisgrowlern Ausschau halten. Teils tauchen sie einigermassen sichtbar aus den Wellentälern auf, teils sind sie aber durchsichtig und kaum vom Wasser zu unterscheiden. Um die nächste Landzunge herum erreichen wir unseren Ankerplatz für die Nacht – oder muss es heissen: für den Tag?
 
«Um die n
ächste Landzunge herum erreichen wir unseren Ankerplatz für die Nacht – oder muss es heissen: für den Tag?»
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Es ist 24 Stunden lang hell, die Planung der Etappen und der Landausflüge muss nicht auf die Tageszeit abgestimmt werden. Das ist wunderbar, aber auch gefährlich, denn das Nachtessen um 23 Uhr, das anschliessende Uno-Spiel und der Schlummi danach lassen es jeweils gut und gerne drei Uhr früh werden. So versuchen wir, statt nach dem Gefühl ab und an auch nach der Uhr zu leben.
 
Eisbad und russisches Dinner
 
In den nächsten Tagen folgen wir der Küstenlinie und besuchen eine polnische Forschungsstation. Mit dem Dinghi fahren wir ganz nah an einen Gletscher heran und driften dabei so stark ins Lee, dass mich einen Moment lang Panik befällt. Es ist alles viel grösser, als wir es uns vorgestellt haben. Und nie hätten wir geglaubt, dass man auch bei einer Wassertemperatur von 3 Grad baden gehen kann, allerdings nur mit dem Super Safety Team von Mare Incognita, allzeit bereit für eine Sofortrettung. Alles verläuft nach Plan, unser Chef-Eistaucher Werni macht es bravourös.
 
Als letztes Highlight der Etappe besuchen wir die Geisterstadt Pyramiden, eine nach der Form ihres Hausbergs benannte russische Kohlenbergwerksiedlung. Ende der 1980er Jahre wurde Pyramiden verlassen, seither scheint die Zeit hier stillzustehen. Bilder hängen noch an den Wänden, in der Sporthalle liegen noch Bälle herum, nur im Schwimmbecken des Hallenbads fehlt mittlerweile das Wasser. Wie Knochengerippe ragen die Industriebauten aus der Bergflanke, die harten Winter haben Gebäude und Fahrzeugwracks verwittern lassen. Dennoch, dem russischen Stil der Minenstadt kann unser Bordarchitekt Bruno durchaus eine gewisse Ästhetik abgewinnen. Mit Wodka und Kaviar geniessen wir schliesslich im Pyramiden-Hotel – dem einzigen Haus, das noch unterhalten wird – ein russisches Dinner, um dann durch den frischen und immer hellen Abend zurück zum Schiff zu laufen.
 
Adrenalinkick zum Abschied
 
Der letzte Törntag soll uns zurück nach Longyearbyen bringen. Wir schleichen den Fjordwänden entlang, in der Hoffnung, eine Belugaherde zu finden, die gestern hier gesichtet wurde. Und wirklich, wie die Seelen der einstigen Bergwerksarbeiter tauchen die weissen Meeressäuger unvermittelt vor uns auf. Wir lassen uns näher treiben und vernehmen die Gesänge der Wale sogar über dem Wasser.
 
Dann drehen wir ab und laufen unter Motor Richtung Hauptstadt. Plötzlich verstummt das Brummen, einmal mehr fällt die Maschine aus. Was tun? Was sind die Optionen? Gedanken, die ich mir als Skipper schon im Vorfeld des Törns immer wieder gemacht hatte. Deshalb war die Reaktion auch klar: Rasch die Segel setzen, Fahrt aufnehmen und das Schiff wieder steuerbar machen. Die Ursache für die Motorenpanne ist bald gefunden: Der Backbordtank ist leer. Wir schalten auf die Steuerbordseite, und unser Volvo Penta brummt wieder.
 
In der Zwischenzeit hat der Wind herrlich aufgefrischt, und in rauschender Fahrt kreuzen wir den Sund hinauf. Ein letztes Mal biegen wir nach Osten ab, und schon ist Longyearbyen in Sicht. Sue fährt das krönende Anlegemanöver, im Hafen bläst der Starkwind zum Glück nicht gar so heftig. Wir machen die «Passage» vorerst an der Tanke fest und verholen sie später an ihren Liegeplatz.
 
Dankeschön an die Crew
 
Wir haben rund 800 Seemeilen zurückgelegt, davon etwa 720 unter Segeln, und dürfen auf eine tolle Etappe zurückblicken – mit einer wundervollen Crew, die dank ihren individuellen Fähigkeiten, Spezialitäten und Charakteren sehr gut zusammen funktionierte. Als Skipper spreche ich allen meinen grossen Dank aus für Enthusiasmus, Freude, Neugierde, Flexibilität, Ausdauer, Humor, Küchenkünste, Essen, Nichtschnarchen – und vor allem dafür, dass ihr mich als Skipper ausgehalten habt.
 
Wind und Wetter haben natürlich auch ihren Teil zum Erlebnis beigetragen. So waren die Verhältnisse bei der Überfahrt wohl etwas rau, dafür kamen wir gut voran. Danach Sonne, mystischer Nebel und zum Abschluss Verhältnisse fast wie am Mittelmeer. Ich würde mich freuen, mit dem einen oder der andern an Bord der «Passage» erneut in See stechen und weiter Garn spinnen zu dürfen.
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