2. Etappe 18.07.–24.07.21: London – Cowes ![]() Die Crew trifft am Samstag, den 17. Juli oder spätestens am Sonntagmorgen in London's St-Katherine Marina ein. Das Auslaufen richtet sich nach der Tide der Themse, da sich die Schleusentore nur eine Stunde vor bis einer Stunde nach dem höchsten Tidenstand bei der Tower-Bridge öffnen lassen. Bei Springzeit beträgt der dortige Tidenhub über 5 Meter und der Fluss fliesst mit bis zu 3.5 Knoten aufwärts! Die kippende Tide, die Strömung der Themse und der Wind – falls er uns keinen Strich durch die Rechnung macht – werden uns mit einer schnellen, aber auch sehr anspruchsvollen Seglerei im engen, und gegen die Mündung auch von der Grossschiffahrt frequentierten Fahrwasser belohnen. Das Abkreuzen im Fluss ist heikel, da beim Abkreuzen der seitlich Stromversatz einkalkuliert werden muss (siehe für Themse und Themsemündung auch den Beschrieb für die vorgängige Etappe Amsterdam – London). Nach ein paar Stunden und ca. 40 «Flussmeilen», auf der Höhe von Southend-on-Sea angelangt, wird die Tide gekippt sein und anstatt gegen sie anzukämpfen, wird es Sinn machen, ein Stück den River Medwey hinaufzusegeln und allenfalls vor Anker die Nacht zu verbringen. Nachdem wir uns via Queens-Channel durch das Sandbank-Labyrinth der Themsemündung (siehe Törn 1) geschlängelt und die Offshore-Windparks umrundet haben, werden wir nach Süden abdrehen und den östlichen Eingang des Ärmelkanals ansteuern.
Hier kreuzt sich eine der weltweit am dichtestens befahrenen Routen der Grossschiffahrt mit den Fähren die Dover und Calais verbinden. Hinzu gesellen sich wild herumkurvende Fischer-, Lotsen- und Polizeiboote. Schwierig und anspruchsvoll, aber auch der ideale Spielplatz um die in der Theorie geübte Handhabung von Radar, AIS und VHF in die Praxis umzusetzen. Bei schlechter Sicht oder gar bei Nacht sollte man das nur bei moderaten Wetterbedingungen tun. Nun haben wir noch gut 110 Seemeilen im Kanal vor uns bis wir die Isle of Wight backbord querab haben und uns durch das englische Seglermekka bis zu unserem Ziel, die Marina von Cowes durchschlängeln. 3. Etappe 24.07.–31.07.21: Cowes – Scilly-Islands – Cardiff Nachdem der Schiffs und Sicherheitseinweisung am Samstagnachmittag verbringen wir den Sonntag mit Manöverübungen im Solent. So machen wir uns mit der Passage und ihren vielfältigen Trimm-Möglichkeiten vertraut. Sonntags wimmelt es im Solent von Segelbooten von der Jolle bis zum High-Tec-Racer und irgendwo dazwischen werden wir jemand finden, mit dem wir uns zum Spass duellieren können. Der Solent gilt aufgrund der Strömungs- und Windverhältnissen zurecht als extrem anspruchsvoll. Beachtet werden müssen auch die spezifischen Vortrittsregeln, die die Grossschiffahrt hier beansprucht. Je nach Wetterlage verbringen wir eine weitere Nacht in Cowes oder in Portsmouth oder laufen direkt via den berühmt-berüchtigten Needles-Channel Richtung Westen aus. ![]() Zwischenziel und ein weiterer Höhepunkt dieser Etappe sind die Isles of Scilly, auf die ich mich besonders freue, weil sie für mich Terra-Incognita sind. Ich bin x-mal daran vorbeigesegelt, habe ihre spektakuläre Schönheit aus der Ferne bewundert, weiss aufgrund von Pilotbooks und Seekartenstudium, dass sie ein halbes Dutzend geschützte Ankerplätze bieten, obwohl ihre Gewässer mit unzähligen felsigen Untiefen gespickt sind. Hier möchte ich zumindest einen Tag, vielleicht auch zwei verbringen, sodass wir auch unsere zwei Doppelkajaks einsetzen können oder den einen oder anderen Berg ersteigen können. Die restlichen 120 Seemeilen in Richtung Nordnordost nach Cardiff scheinen unproblematisch und sind es in der Regel auch, aber man darf nicht vergessen, dass der sogenannte Bristol-Channel – das Seegebiet, das sich gen Osten trichterförmig verengt – bei Sturm aus West mangels Fluchthäfen zur tödlichen Falle werden kann. So geschehen beim Fastnet-Race von 1979, bei dem mehrere Segler ihr Leben verloren haben. Deswegen werden wir uns bei unsicherer Wetterlage, insbesondere wenn ein Tief droht nördlich von uns durchzuziehen, nicht in diesen Trichter hineinwagen und anstelle von Cardiff Milford-Haven ansteuern und den Crew-Wechsel dort abwickeln. 4. Etappe 31.07.–07.08.21: Cardiff – Isle of Man – Glasgow Zwischen Irland und entlang der Küste von Wales segeln wir auf die Isle of Man zu, eine Insel von malerischer Schönheit, besiedelt von philosophierenden Speed-Maniacs, die jedes Jahr die «Tourist-Trophy», das verrückteste Motorradrennen der Welt veranstalten. Je nach Lust und Laune werden wir der Insel einen kurzen Besuch abstatten oder vielleicht auch zwei Nächte vor Anker dort verbringen. Durch den südlichen Eingang des North-Channels lassen wir Belfast an Backbord liegen und stossen in den Firth of Clyde vor. Falls uns noch Zeit bleibt kreuzen wir die stillen Gewässer des Loch Striven hoch und verbringen noch eine Nacht vor Anker an dessen wunderschönen Nordende (56°00,2'N 005° 07,4'W). Zurück sind es dann nur noch 16 Seemeilen bis zur Kip-Marina (55°54,6'N 004°52'W), die ich vor etwa 10 Jahren zuletzt besucht habe. Damals gab es noch keine brauchbare Marina in Glasgow selbst, scheint sich geändert zu haben, wäre ideal für den Crewwechsel, müssen wir noch abklären.
5. Etappe 07.08.–14.08.21: Der Whisky-Törn Glasgow – Oban Die Diretissima von Glasgow nach Oban – südwärts durch den Firth of Clyde, rund um die Halbinsel Kintyre, dann nordwärts durch den Jura-Sound – wären bloss 160 Seemeilen. Dies ermöglicht uns einen grossen Freiheitsgrad in der Route. Je nach Wind, Lust und Laune kreuzen wir sportlich in den windigen aber von Wellen geschützten Gewässern der
Inseln Islay, Jura und eventuell Mull umher. Die zerklüftete schottische Westküste ist mit ihrer Inselwelt ein Seglerparadies und bietet im Unterschied zur Ostküste auch jederzeit Wind und Wellengeschützte Ankerplätze. Das seemännisch schwierigste Stück dieser Etappe ist der North-Channel, die Umrundung der Südspitze von Kyintyre, wo sich bei Wind aus Nordwest gegen Strom eine höllische See mit stehenden Wellen aufbaut, während uns an Backbord die Verlockungen der Whisky-Inseln Islay und Jura in Versuchung führen – so à la Odysseus zwischen Skylla und Charybdis. Bisher mussten wir jedoch noch kein Crewmitglied an den Mast fesseln. 6. Etappe 14.08.–21.08.21: Oban – Hebriden – Kirkwall (Orkney Island) Diese Etappe lässt sich in drei Teilstücke mit unterschiedlicher Charakteristik aufgliedern. Von Oban bis zur Nordspitze von Lewis schützen uns die Hebriden, danach bis zur Westküste der Orkneys, setzen wir uns den langen Wellen des Atlantiks aus (ausser wir beschliessen zwischen Ensay und South Harris zu einer der aussenliegenden Inseln wie Taransay (57°53,5'N 007°02,5W) vorzustossen). Dort finden wir nämlich wunderschöne Sandstrände, die an die Karibik erinnern. Mit dem Unterschied, dass man kaum ins Schwitzen gerät.
Das anschliessende Stück, die knapp 100 Seemeilen Ostnordost bis zu einer der möglichen Pforten zu des Orkney-Archipels – vermutlich zwischen Rousnay und Westray – müssen wir mit achterlichen Wellen rechnen, die sich tausende von Atlantik-Meilen aufgebaut haben, aber gottseidank schon ca. 50 Seemeilen weiter westlich – somit achterlich von uns – über den ansteigenden Grund gestolpert sind. Somit können wir in der Regel sehr schönem, entspanntem Vorwindsegeln geniessen, müssen aber auch mit anstrengendem Aufkreuzen rechnen, falls ein bösartiges Tief südlich von uns über die britischen Inseln fegt. Die dritte Etappe – von der Eingangspforte im Nordwesten der Orkneys bis Kirkwall – hängt davon ab, wieviel unserer kostbaren Zeit wir in den Hebriden verbracht haben. Ich hoffe, wir können noch ein paar Haken schlagen, aber selbst wenn wir «direkt» nach Kirkwall segeln, werden wir eine Kostprobe von den seemännischen Tücken der Orkney's kosten, die dieses Archipel zu bieten hat (siehe 7. Etappe). 7. Etappe 21.08.–28.08.21: Kirkwall – Kirkwall (Orkney Ilsands) Über den landschaftlichen Reiz der Orkney's will ich keine Worte verlieren. Die könnt ihr dank dem Internet selbst nach eurem Gusto beurteilen. Was ihr im Netz kaum findet ist die Erkenntnis, dass das Segeln in dieser Inselgruppe sehr dem Schachspiel gleicht: – es fordert die Stirnrunzel-Muskulatur mehr als die Bizeps. Warum? Weil die Routenplanung aufgrund der extremen Strömungsverhältnissen in den Engpässen zwischen den Inseln sehr aufwendig ist. Beispiel: Wollen wir Shapinsay im Uhrzeigersinn umrunden und starten zum Zeitpunkt X in Kirkwall in nördlicher Richtung damit wir den kritischen Engpass beim Vasa Point (59°03,1'N 002°55,5'W) bei stillem Wasser passieren (Zeitpunkt y), laufen wir dann z Stunden später beim südlichen Kap von Shapinsay in den Tide-Rip-Hammer? Was machen wir, wenn wir länger brauchen? Wo könnten wir bei den herrschenden Wind und Wellenverhältnissen ankern? Wäre es vernünftiger Shapinsay im Gegen-Uhrzeigersinn zu umrunden? Ist die Crew schon mit dem Schiff vertraut und ausreichend kompetent, ein Manöver notfalls unter Zeitdruck fehlerfrei durchzuführen?
8. Etappe 28.8.–04.09.21: Kirkwall – Amsterdam (Sint-Annaland?) ![]() Ein Hardcore-Törn für Seebären, die ein paar Tage und Nächte auch bei schwierigen Bedingungen auf See verbringen und Meilen abspulen wollen. Und dies in der Nordsee, vielleicht das seemännisch anspruchvollste Gewässer der Welt. Im Unterschied zur schroffen und zerklüfteten Westküste ist die Ostküste Grossbrittaniens tückisch. Sie kann bei Sturm aus Ost mörderisch sein, weil dann kaum einer der wenigen Häfen anzulaufen ist. So sind schon hochseetüchtige Fischerboot beim Einlaufen in Aberdeen zerschellt, weil sich die Wellen beim ansteigenden Grund vor der Hafeneinfahrt brechen. Wir sind allerdings mit unserem Schiff für Legerwall-Situationen gut gerüstet. Die Passage ist für schwerstes Wetter konzipiert und kann sich auch bei schwerem Wetter freisegeln. Abgesehen von erratisch herum zirkelnden Fischerbooten ist dieses Gewässer mit Ölplattformen gespickt und dem damit verbundenen Traffic von Supply-Vessels. Zudem die Offshore-Windparks und weiter südlich müssen wir die von der Grossschiffahrt benutzen Traffic-Separation-Zones vorschriftsgemäss kreuzen. All dies ist in stockfinsterer Nacht sehr anspruchsvoll und gibt der Crew Gelegenheit mit AIS, Radar und ship-to ship-communication vertraut zu werden. Falls das Wetter uns keinen Strich durch die Rechnung macht, sollten wir in der Lage sein, in Ijmuiden am 4. September einzulaufen, von wo Schiphol problemlos per Taxi oder Zug erreichbar ist. Wer Zeit hat – und wir wären froh darum – kann uns aber kostenfrei helfen, die Passage in ihre Winterlager in Sint-Annaland zu überführen. Diese letzten Meilen sind sehr vielfältig, weil erstens der Maasgeul, die extrem frequentiert Zufahrtsrinne nach Rotterdam gekreuzt werden muss, zweitens weil die Navigation durch den Slijkgat, die sich ständig verändernde Zufahrtsrinne durch die trockenfallenden Sandbänke vor Stellendamm, sehr anspruchsvoll ist, und drittens weil die zweitägige Fahrt – unter Segel und Motor – durch die holländischen Binnengewässer bis Sint-Annaland (51°36.2'N 004°06,5'E) mit ihren unzähligen Schleusen und Hebebrücken viele Herausforderungen bietet. Wir werden in diesem und den folgenden Blogs die komplette Revision des Antriebs-Stranges von unserer 2019 neu installierten Maschine (D2-75 von Volvo-Penta) über das Getriebe (Vor- und Rückwärtsgang), den Constant-Velocity-Joint, das Drucklager, die Stopfbüchse (die verhindert, das Seewasser ins Boot dringt), die beiden Cutlass-Bearings, Ausgang Rumpf und im Wellenbock, die die Welle führen, bis zum Propeller. Ich werde aber das Pferd von hinten aufzäumen und in dieser ersten Folge bloss die Installation unseres brandneuen Propellers (Varioprop DF 112 4-Blatt) des Bremer Spezialisten SPW (info@spw-gmbh.de). Die Revision der weiteren Komponenten des Antriebs-Stranges folgt dann in weiteren Blog-Beiträgen. Wir haben uns für den vierblättrigen DF 112 mit 53.3 cm Durchmesser entschieden, weil wir mit dem Vorgängermodell, einem dreiblättrigen DF 112 sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Letzterer hat uns seit 2003 über ca. 150’000 Seemeilen – davon schätzungsweise 40’000 sm unter Maschine – klaglos treue Dienste geleistet. 2019 haben wir uns entschlossen, ihn zu ersetzen, weil die Propellerflügel arg Spiel aufwiesen. Kein Wunder: Öfters hat er an der von Packeis heimgesuchten Küste Ostgrönlands Packeis geschreddert, manchmal sogar Growler, Bruchstücke von Eisbergen, die sich so unglücklich unter den Rumpf geschoben hatten, dass sie in den Drehkreis des Propellers gerieten. Trotz allem hat er sich mit jährlichem Abschmieren begnügt, dank dem Schmiernippel eine Sache von wenigen Minuten, und haben ihn, entgegen der Empfehlung von SPW niemals zur Inspektion/Revision eingesandt. Unter Segel dreht der Varioprop zunächst mit, bis die rotierende Welle bei 2–3 Knoten Fahrt durch Einlegen des Rückwärtsganges blockiert wird. Dadurch drehen sich die Propellerblätter um ihre Achse in die Strömung und setzen so der Fahrt praktisch keinen Widerstand mehr entgegen. Wir haben bei unserer 17 Tonnen schweren 18-Meter Yacht bei leichten bis mässigen Windstärken Fahrtunterschiede von 0,5 bis 0,7 Knoten gemessen. Im Unterschied zu den gängigen Faltpropellern, die in der Regel an Saildrive-Units montiert sind, und deren Propellerflügel sich unter Segel tulpenförmig zusammenschliessen, sodass sie sich im Rückwärtsgang erst bei hohen Tourenzahlen dank der Zentripetalkraft öffnen, entwickelt der Varioprop im Rückwärtsgang den gleichen oder sogar noch besseren Schub – wie der erste Gang bei einem Auto – da die Steigung Vorwärts und Rückwärts unabhängig und praktisch stufenlos eingestellt werden kann. Wir haben uns in Absprache mit SPW für eine Steigung von 17" vorwärts und 15" rückwärts entschieden. Wir haben gottseidank (ansonsten müsste ich darüber auch noch schreiben) kein Bugstrahlruder und satter Schub rückwärts bei niedriger Fahrt durchs Wasser ist besonders hilfreich, falls ein Anlegemanöver bei starkem ablandigen Wind zackig gefahren werden muss und das Schiff rechtzeitig abgestoppt werden muss, im Idealfall bevor es in den Steg oder ins benachbarte Boot kracht. Bevor wir uns der Montage des Propellers zuwenden, muss die Welle auf Schlag geprüft werden –
also checken, ob sie krumm ist. Und noch vorher muss in einem mühseligen und zeitraubendem Prozess alles Unterwasser-Ungeziefer, Algen, Muscheln und sonstiges Getier mittels Bohrmaschine und Bürste entfernt werden, wenn möglich ohne Kratzer oder gar Schleispuren an der Welle zu hinterlassen. Zum Prüfen der Welle benötigt man zwei präzise V-förmige Lagerböcke und eine Messuhr, wie im Video auf Facebook gezeigt. Wir haben bei unserer Welle (Länge ca. 3 Meter, Durchmesser 40 mm) einen minimalen Schlag zwischen 50 und 80 Mikrometer gemessen (5 bis 8 Hunderstelmillimeter), somit unter dem Zehntelmillimeter, der für eine Welle dieser Dimension akzeptabel ist. Wie der amerikanische Boots-Reparatur-Papst Nigel Calder in seiner Segler-Bibel «Boatowners
Mechanical and Electrical Manual» (ISBN 978-0-7136-7226-8) postuliert, gibt es bezüglich Unterhalt und Wartung der unzähligen Systeme einer Segelyacht ein breites Spektrum zwischen zwei extremen Positionen: Einerseits die devote Befolgung der vom Hersteller vorgeschriebenen Wartungsintervalle (und legt sich in falscher Sicherheit wiegend beruhigt schlafen, nichtsahnend von den Konvulsionen die sich in den Eingeweiden der Maschinerie zusammenbrauen) oder anderseits ein quasi-hypochondrische Obsession mit den Geräuschen, Vibrationen, übermässiger Erhitzung, ungewohnten Gerüchen und ja, selbst mit Geschmäckern. Ich kenne mechanophile, die bei der Kontrolle des Oelstandes einen Tropfen des Schmiermittels auf der Zunge verkosten und so Verbrennungsrückstände identifizieren, die wiederum auf defekte Kolbenringe oder ausgelatschte Zylinderbohrungen hinweisen (weil die Verbrennungsrückstände des verpufften Diesels zwischen Kolben und Zylinderwandung in das Kurbelgehäuse eindringen und das Schmieröl kontaminieren). Wie man sich zwischen diesen beiden Extremen positioniert hängt von drei Faktoren ab: Erstens vom technischen Know-How, über das man verfügt; zweitens von der Finanzkraft und drittens vom Charakter der Segeltörns, die man unternimmt. Bewegt man sich auf einer Charteryacht in Reichweite von fachkundigen Werften, muss man sich lediglich um Probleme kümmern, die ein Havarie zur Folge haben könnten. Ich würde aber empfehlen, nebst der obligaten Sicherheitsausrüstung Keilriemen, Impeller, Diesel Fein- und Grobfilter nebst Werkzeugkoffer inklusive Voltmesser mitzunehmen. Sehr hilfreich, selbst für mechanisch Unbedarfte ist das mitführen des oben erwähnten Werkes (gibt’s inzwischen auch als e-book) von Nigel Calder, zudem den Besuch eines Wochenende-Motorenkurses oder noch besser, einmal auf einem unserer 18-Meter Yacht Passage als Crewmitglied im Nordatlantik und/oder Arktis anzuheuern: Dort hat man dann garantiert Gelegenheit sich ankündigende Probleme rechtzeitig zu identifizieren und Defekte, die zu Vezögerungen oder gar Abbruch eines Törns zwingen könnten, zu vermeiden. Wir vom Segelverein Mare-Incognita, seit 2014 in der Arktis unterwegs, können uns dies nicht leisten, da wir an einen fixen Törnplan, der uns alle zwei- oder drei Wochen einen Crew-Wechsel zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Hafen oder Ankerplatz aufzwingt, gebunden sind. Wie jedes Mal, wenn das Auslaufen mit Ziel Ostgrönland bevorsteht, ist mir bange. Und dies, obwohl wir in den letzten Jahren mit unserer 18-Meter-Segeljacht «Passage» Abertausende von Seemeilen in arktischen Gewässern zurückgelegt und letztes Jahr bei Spitzbergen den 80. Breitengrad übersegelt haben – für ein paar Tage befand sich kein anderes Segelboot so nahe am Nordpol! Aber die Ostküste Grönlands gilt als mörderisch, weil sie von Packeis gesäumt ist und die Fjorde der unzähligen Gletscher gelegentlich von derart heftigen Föhnstürmen heimgesucht werden, dass die Häuser mit Spanngurten im Boden verankert werden müssen.
Von den knapp 60 000 Grönländern sind nur 2000 bis 3000 im Osten ansässig, verteilt auf die zwei Ortschaften Tasiilaq und das 450 gastfreundliche Seelen zählende Ittoqqortoormiit. Letztere verfügt sogar über einen Supermarkt, der regelmässig – sprich zweimal im Jahr! – beliefert wird. Die Mannschaft Am Samstag trifft die neue Mannschaft ein. Leonie Schmid und Diane Seda, die sich ihre Sporen als Skipperin und First Mate verdienen, kenne ich schon. Die anderen Crewmitglieder sind mir noch unbekannt. Sie machen erst mal lange Gesichter, als sie die spartanische Einrichtung einer Rennjacht erblicken, ihre Kojen, in denen sie wie Sardinen übereinandergestapelt schlafen sollen. Die «Passage» ist kein schwimmendes Wohnzimmer, sie ist ein Ocean Racer, 1989 aus starkem Aluminium für das Whitbread Round the World Race gebaut – eine Maschine, um Stürmen zu trotzen und die Crew möglichst schnell und dennoch sicher über die Weltmeere zu tragen. Unter weiblichem Kommando Ostgrönland wird nur extrem selten angelaufen. Und meines Wissens sind wir die erste Segeljacht überhaupt unter weiblichem Kommando. Leonie und Diane, 27- und 28-jährig, sind selbst zusammengezählt noch ein gutes Jahrzehnt jünger als ich. Selbstverständlich werde ich ihnen bei Bedarf mit Rat beistehen, notfalls auch mit Tat, aber Letzteres erst, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht. Leonie ist am Zürichsee aufgewachsen – von Kindsbeinen an mit der elterlichen Jacht vertraut, in der Jugend Regattaseglerin – und hat das Gefühl für den Wind im Blut. Sie beginnt zu jauchzen, sobald der Wind an Stärke zulegt. Diane, Tochter eines US-Amerikaners und einer Iranerin, aufgewachsen in der Schweiz, ist letztes Jahr in Norwegen bereits mit uns gesegelt und kommt gerade von einer mehrmonatigen Mission auf einem norwegischen Segelschiff als Forscherin und Co-Skipperin zurück. Durch die Dänemarkstrasse Bevor wir in Reykjavik ablegen, müssen wir noch 500 Liter Diesel bunkern, um die Heizung, den Stromgenerator, den Wassermacher und bei Flaute auch den Motor zu versorgen. Zudem zwei Autoladungen Lebensmittel. Für die nächsten Wochen werden wir autark sein – ein abgeschlossenes Universum –, eingeschlossen in einer 18 Meter langen und 5 Meter breiten Aluminiumbüchse. Wir sind seit nunmehr zwei Tagen auf See und befinden uns auf 67 Grad Nord / 28 Grad West mitten in der sogenannten Dänemarkstrasse, als von Südwesten her ein kleines, aber bösartiges Tief aufzieht und uns zu einem Abstecher entlang der isländischen Küste zwingt. Ein überhastetes Anlaufen der grönländischen Küste hätte unseren Untergang bedeutet. 150 000 Tonnen Packeis strömen jede Sekunde entlang der grönländischen Küste Richtung Süden. Dazu kommen die monströsen Eisbrocken, die bei Gletscherabbrüchen ins Meer stürzen. Von Wind und Wellen getrieben, hätte das Eis unsere Jacht zermalmt wie ein Weizenkorn zwischen zwei Mühlsteinen. Aber dank dem unfreiwilligen Abstecher ist unser Timing perfekt: Als die ersten Eisberge vor der wilden Kulisse der grönländischen Küste auftauchen, ist der Sturm, der uns in Windeseile über die Dänemarkstrasse getragen hat, abgeflaut. Sicher vor Anker Einen sicheren Hafen gibt es im Osten Grönlands nur bei Tasiilaq, südwestlich von uns. Der Rest der 3000 Kilometer langen Küste ist nur unvollständig und häufig gar falsch kartografiert. Letztes Jahr sind wir gemäss Seekarten beispielsweise meilenweit über Land gesegelt und haben in 80 Metern Höhe an einem Berghang geankert! Und jetzt wären wir um ein Haar an einem Riff zerschellt, das auf keiner Seekarte verzeichnet ist – eine Felsnadel, die steil aus der Tiefe bis knapp unter die Oberfläche reicht und deren weiss schäumende Brandung kaum von den vielen Growlern (Eisbrocken von der Grösse eines Autos ) zu unterscheiden ist. Dank der Aufmerksamkeit des Rudergängers und der Geistesgegenwart der Crew, die blitzschnell eine Notwende einleitete, konnten wir unversehrt eine Position anlaufen, an der gemäss dem aktuellen britischen Seehandbuch die siebte Thule-Expedition im August 1931 einen geschützten Ankerplatz gefunden haben soll. Im Osten Grönlands ist die Zeit stehen geblieben. Wir aber werden nächstes Jahr wieder von Holland aus Richtung Grönland aufbrechen, via Schottland, Hebriden, Färöer und Island. Erschienen im SWISS MAGAZINE Dezember/Januar 2019/20. Text: Till Lincke Wir haben einen neuen Ankerplatz entdeckt. «Entdeckt» ist ein bisschen zu hoch gegriffen, denn gemäss den britischen «Admirality Sailing Directions» (Auflage 2013) über die Arktis hat dort schon die «7th Thule-Expedition from 1937» schon einmal guten und vor grösseren Eisbergen geschützten Ankergrund gefunden – eine kostbare Rarität an der wilden Küste Ostgrönlands.
Unser Timing war spot-on. Wir sind in Island früh genug gestartet, sodass wir die günstigen raumen Winde nutzend, rasant Westen machten, und spät genug, um dem auf die Küste prallende Tief Zeit zu lassen, um sich auszutoben. Als die von Gletschern zerklüftete und von der Abendsonne beschienene Küstenlinie am Horizont auftauchte, war der Wind zu einer sanften Brise abgeflaut, die das Schiff über eine sanft steigende und fallende 'alte See' trugen. Der vergangene Sturm hatte auch das gefürchtete Packeis (das auf Wind reagiert) weggeblasen, sodass nur noch die mächtigen Eisberge (die aufgrund ihres gewaltigen Tiefgangs von der Strömung getragen werden) übrigblieben sind, die sich 'leicht' umfahren liessen. 'Leicht' in Anführungszeichen, weil sich eine Segelschiff nicht so leicht wie Auto steuern lässt, vor allem, wenn man wie wir, einen 145 Quadratmeter grossen Code-Zero fährt, der bei jeder durch das Labyrinth der Schollen und Eisberge erzwungenen Wende ein- und ausgerollt werden muss.
Die Überquerung der Denmark-Strait auf der Breite des Polarkreises zwischen Island und Grönland beginnt am Dienstagabend sanft und wunderschön unter einer das von Süden aufkommenden Tiefs ankündenden Mitternachtssonne. Dieses Tief diktiert unseren Zeitplan: Dessen steife Winde um die 7 bis 8 Beaufort aus östlicher Richtung sollen uns eine schnelle, wenn auch eine für die Crew anstrengende und kräftezehrende Überfahrt ermöglichen. Und dann, wie erwartet, legt der Wind zu, 7 manchmal 8 Beaufort mit Böenspitzen bis zu 40 Knoten, eine Mütze voll Wind, kein Sturm und zudem noch von achtern, also aus günstiger Richtung, zur Freude unserer 9-köpfigen Crew und vor allem von Leonie, die in ein paar Tagen die 'Passage' skippern wird und wie immer wenn es wild wird, vor Lebenslust beinahe überschnappt und hinter dem Steuerruder tanzt und jauchzt und singt und unsere dahinbrausende Ocean-Racer vom Gewicht eines beladenen Lastwagens mit leichter Hand durch das Wellenchaos dirigiert. Wir müssen allerdings höllisch aufpassen, nicht allzu schnell über die Wellen zu rauschen, nicht allzu früh an der wilden, menschenleeren und von allen Seeleuten gefürchteten Küste Grönlands einzutreffen – Nomen est Omen: Cape Farewell, Cape Desolation, Hold with Hope. «Nicht allzu früh» heisst konkret nicht vor Donnerstagmittag, unter keinen Umständen schon am Mittwoch, weil sich dann das Tief an der grönländischen Ostküste austobt, voraussichtlich mit Böen bis zu 60 Knoten. Ein solcher Sturm lässt sich auf offener See abwettern, aber nicht in Küstennähe, und schon gar nicht in Kombination mit Packeis – der Alurumpf unseres Schiffes würde zwischen den Eisschollen zermalmt werden, wie eine Bierdose auf der Autobahn. Und hier, am Ende der Welt, gibt es keine Seele, die uns zu Hilfe kommen könnte. Die endlose Küste Ostgrönlands, die 26 Breitengrade überspannt, von 59° Nord bis hoch in die Polarregion von 85° Nord, ist heute noch unvollständig und häufig schlichtwegs falsch kartografiert. Die elektronischen Seekarten von Navionics sind von den alten dänischen Seekarten aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts abgekupfert – inklusive aller Fehler und Irrtümer. Wir sind dort letztes Jahr, gemäss Seekarten, meilenweit über trockenes Land gefahren und haben einst in 80 Meter über Meereshöhe geankert. Wir sind gespannt, was diese menschenfeindliche und doch so grandiose Gegend diesmal für Überraschungen präsentieren wird.
Die Überquerung der Denmark-Strait, die Island und Grönland trennt, ist exakt nach unserem Plan verlaufen, dem Leonie gestern noch den letzten Schliff verpasst hatte. Abgesehen von einer unangenehmen Flautephase bei alter, unaufgeräumter See, konnten wir die günstigen Winde des die grönländischen Küste heimsuchenden Tiefs ausnutzen und bei 7 bis 8 Beaufort über Stunden mit 9 bis 12 Knoten Speed auf Halbwindkurs West machen.
Die Besatzung, geeicht von den sehr harten Bedingungen zwischen Reykjavik und Nordwestisland, hat die Strapaze mit Bravour bestanden. Zur Belohnung gleiten wir jetzt unter Volltuch bei leichten Winden, flacher See und Sonnenschein mit 7 Knoten an den ersten Eisbergen vorbei auf die steilen Bergzacken Ostgrönlands zu. Unser Ziel ist der Kangertittivatsiaq-Fjord und die kleine Insel Storoe, wo gemäss dem Arctic-Pilot-Volume 2 schon mehrmals auf Pos 66°10,7’N/035°32,8’W geankert wurde. Die Bucht ist angeblich seicht genug, um keinen unliebsamen Besuch von Eisbergen befürchten zu müssen – aufgrund deren Tiefgangs. Wir lassen uns überraschen.... Wir sind kurz nach Mitternacht, aus der Anchorage von Talknafjoerdur ausgelaufen, Kurs west Richtung Grönland. Bis jetzt angenehme achterliche Winde um die 20 Knoten. Wir steuern Storoe an, etwas nördlich von Kulusuk, dort soll es eine Ankerbucht geben, die genügend seicht ist, um nicht von Eisbergen behelligt zu werden. Bis dort sind es noch 280 Seemeilen, bei unserer Ankunft wird sich der Sturm an der Küste verzogen haben. Wir wissen jedoch nicht, ob uns ein Packeisgürtel den Weg versperrt. Es ist 3 Uhr nachts und die Sonne ist vor kurzem aufgegangen. Wir sind am Sonntagnachmittag in Reykjavik gestartet und liegen jetzt nach einem schnellen, aber anstrengendem Halbwindkurs bei gut 8 Windstärken und Böen über 40 Knoten bei Talknafyorour (65°37,3‘N/023°50,2‘W) vor Anker.
Die Mannschaft hat tapfer durchgehalten, obwohl fast jeder unter Seekrankheit litt, beinahe unvermeidlich am ersten Tag auf See unter derartigen Bedingungen, bevor man Seebeine erlangt hat. Der ursprüngliche Plan zunächst einen Fjord südlich von Kulusuk anzulaufen musste aufgrund der Wettersituation aufgegeben werden zugunsten der Absicht den Kangerlusuak Fjord nördlich von Kulusuk anzusteuern. Für Dienstagabend bis Mittwochabend verunmöglicht ein kleines, aber mörderisches Tief mit Zentrum Kulusuk jegliche Annäherung an die Ostküste Grönlands - auflandige Böen weit über 50 Knoten und Packeis wäre eine mörderische Kombination. Deswegen werden wir zumindest bis Dienstagabend in den isländischen Fjorden verbringen, bevor wir den Sprung über die Denmark-Strait nach Grönland in Angriff nehmen. Heute musste die Mannschaft das seemänische Knoten eines Palstekes üben – um die Hände zu schonen selbstverständlich nicht mit grobem Tauwerk, sondern mit al dente gekochten Spaghetti (Barilla Nr. 5), was besonderes Feingefühl erforderte. Gestern Mittag sind wir bei traumhaftem Wetter in Reykjavik ausgelaufen und segeln jetzt bei leichten Winden und ruhiger See Richtung Norden. Jetzt ist es 6 Uhr morgens (unterscheidet sich nicht sonderlich von Mitternacht) und an Steuerbord ragt der schneebedeckte Snaefellsjökull auf... Die «SY Passage» ist beinahe startklar, nur das Gross-Segel und die Rollfock müssen noch angeschlagen werden. Roger und Alex schlagen das Gross-Segel an. Hier beim Einschieben und Sichern der durchgehenden Segellatten. Unser isländischer Kumpel Fredrik gibt uns mit seinem 600 PS Whale-Watching Powerboat das Geleit aus dem Hafen von Reykjavik.
«Sehr hohe Wellenberge mit langen überbrechenden Kämmen. See weiss durch Schaum. Rollen der See schwer und stossartig. Sicht durch Gischt beeinträchtigt.» So beschreibt die Beaufort-Skala den Sturm mit 53 Knoten Wind bzw. Windstärke 10, den wir gemäss Anemometer während der Hong Kong-Challenge im englischen Kanal erlebten. Allerdings segelten wir damals mit 7 bis 11 Knoten Geschwindigkeit hart am Wind; von der auf dem Boot gemessenen Windstärke müssen wir also nochmals durchschnittlich 8 Knoten Fahrt abziehen.
Bleiben also noch 45 Knoten wahre Windstärke oder 9 Beaufort. In Deutschland gilt das schon als «Sturm», die Engländer begnügen sich mit «strong gale». Nun sitzt das Anemometer aber an der Spitze des Masts, bei der SY «Passage» also 24 Meter über Meer. Die Beaufort-Skala indes bezieht sich auf eine Messhöhe von bloss 10 Metern. Der Korrekturfaktor beträgt 1.09, das heisst von den 45 Knoten bleiben noch 40 übrig – 8 Beaufort. Und das ist selbst in Deutschland nur noch ein «stürmischer Wind». Na gut, kein echter Sturm. Doch selbst bei «stürmischem Wind» können im englischen Kanal Zustände herrschen, die sich lediglich punkto Temperatur von einem Aufenthalt in der Hölle unterscheiden. Grund dafür sind die zwar relativ kleinen, aufgrund der Strömung und der geringen Wassertiefe aber sehr steilen Wellen – oft doppelt so steil wie die mächtigen Wogen auf den Weiten des Atlantiks. Die Vordeck-Crew wurde von überkommenden Brechern hin und her geschleudert und musste die Selbstauslöser ihrer Schwimmwesten deaktivieren, um einen Segelwechsel in Angriff nehmen zu können. Unter Deck war es zwar weniger windig, aber nicht minder schwierig – «etwa so, als würde man sich am Klöppel von Big Ben festklammern, während der Glöckner Sturm läutet», wie es ein Crewmitglied später beschrieb. Mitten im Chaos von tropfnassen Segeln und Erbrochenem wälzte sich ein hysterisch heulender Gast in Todesangst, assistiert von seiner Gattin, die ihn mit der professionellen Gelassenheit einer Krankenschwester zu beruhigen suchte. Unser Schiff liess sich von dieser «Mütze voll Wind», wie die hartgesottenen Nordsee-Anrainer solche Situationen bezeichnen, nicht beeindrucken. Wir aber schon. Wie weitere acht der insgesamt elf teilnehmenden Yachten am Hong Kong-Challenge drehten auch wir schliesslich ab und suchten, vor dem Wind laufend, Zuflucht in Cherbourg. Till Linke «Gentlemen don't sail to windward», sagen die Briten. Niemand kreuzt freiwillig gegen den Wind an. Raumschots zu segeln ist wesentlich angenehmer. Seit Kolumbus’ Zeiten folgen die globalen Segelrouten deshalb räumlichen Kursen. Mehrrumpfboote – von den polynesischen Auslegerkanus bis zu den heutigen Tri- und Katamaranen – sind die idealen Vehikel dafür. Sie setzen ausschliesslich auf Formstabilität, stützen sich also auf ihre weit auseinanderliegenden Rümpfe und können so auf Kielballast verzichten. Sie sind äusserst stabil, allerdings nur bis zu einem kritischen Neigungswinkel von 50 bis 70 Grad. Danach kippen sie um und bleiben liegen wie eine Schildkröte, die man auf den Rücken dreht.
Moderne Einrumpfyachten suchen einen Kompromiss zwischen Gewicht und Stabilität. Sie sind auf räumlichen Kursen schnell und kompensieren fehlenden Kielballast mit der Formstabilität eines breiten Rumpfes. Dieser bietet zugleich Platz für einen komfortablen Salon, den sich die meisten Eigner wünschen – ein schwimmendes Wohnzimmer. Breite Rümpfe bergen aber ein inhärentes Gefahrenpotential: Ähnlich einem Katamaran neigen sie zu inverser Stabilität, dem besagten Schildkrötentrauma also. Und wenn das WC dann von der Decke hängt, ist nicht bloss der Salon-Komfort futsch. Die Vernachlässigung der Seetüchtigkeit beim Yachtbau ist nachvollziehbar. Denn Stürme, die das Schiff überfordern, bevor die Crew schlapp macht, sind selten. Obwohl ich etwa 50'000 Seemeilen in Nordsee und Nordatlantik versegelt habe, bin ich noch nie in einen ausgewachsenen Sturm geraten. Die höchste Windgeschwindigkeit, die das Anemometer der SY «Passage» je angezeigt hat, betrug 65 Knoten, also gut 120 km/h. Dieser Wert entspricht der Windstärke 12, gilt als «Orkan» und markiert das Ende der Beaufort-Skala. Diese liefert folgende Beschreibung dafür: «Luft mit Schaum und Gischt angefüllt. Die See vollständig weiss. Jede Fernsicht hört auf.» Kann ich mich brüsten, einen Orkan überlebt zu haben? Mitnichten. Zunächst mal waren die 65 Knoten nicht die durchschnittliche Windgeschwindigkeit, auf die sich die Beaufort-Skala bezieht, sondern ein Maximalwert, verursacht durch eine besonders heftige Bö. Die Anzeige pendelte damals zwischen 48 und 58 Knoten. Nehmen wir als Durchschnitt 53 Knoten – das wäre dann Windstärke 10 und somit nach Sir Francis Beaufort, der die Skala erfand, «nur» noch ein ausgewachsener Sturm. Till Linke Autos sind in den letzten 50 Jahren beinahe so sicher geworden wie das heimische Bett. Für Segelyachten trifft das leider nicht zu. Wir brauchen bloss einen Blick auf die Statistik des Sydney-Hobart Race zu werfen, der vielleicht härtesten Offshore-Regatta überhaupt, deren Kurs quer durch die mörderische Tasmanische See führt. 1956 liefen von 30 teilnehmenden Schiffen noch 28 heil ins Ziel, die Erfolgsrate lag also bei 93 Prozent. 1963 betrug sie noch 77 Prozent und sank dann kontinuierlich bis auf den Tiefpunkt von 31 Prozent im Jahr 1984. Von den 150 teilnehmenden Booten kamen also nur noch knapp ein drittel durch.
Beim Fastnet-Race 1979, an dem 316 Yachten teinhamen, kamen 15 Segler ums Leben. Einige konnten ihre havarierten Boote zwar mit der Rettungsinsel verlassen, starben dann aber an Erschöpfung. Fünf der verlassenen Boote wurden später entmastet und halb voll gelaufen, aber immer noch schwimmend aufgefunden. Aus solcher Erfahrung stammt die Seglerweisheit: Man steige nie in eine Rettungsinsel hinunter, sondern klettere immer in eine hoch – nämlich erst dann, wenn einem das Schiff unter den Füssen wegsackt. Ein Grund für die schwindende Seetüchtigkeit moderner Segelyachten sind die modernen Kommunikationsmittel. Früher musste sich die Crew einer ozeantauglichen Yacht auf die Seetüchtigkeit ihres Schiffes verlassen können. Heute kann sie per Funk oder Satellitentelefon einen Notruf absetzen und warten, bis sie von einem nahen Frachter oder einem Helikopter geborgen wird. Diese Entwicklung hat den marktgetriebenen Trend zu schnellen und dennoch wohnlichen Yachten begünstigt. Die beiden Eigenschaften lassen sich konstruktiv vereinbaren, indem man sehr breite Schiffe mit geringem Kielgewicht baut. Die Stabilität einer klassischen Yacht beruht auf dem Prinzip des Stehaufmännchens. Sie ist schmal gebaut und mit einem schweren Kiel ausgestattet, der im Extremfall bis zu 70 Prozent des Gesamtgewichts ausmacht. Eine brechende Welle von ausreichender Grösse kann eine solche Yacht wohl auf den Kopf stellen, aber das Schiff richtete sich aus jeder Position wieder auf – selbst wenn der Mast senkrecht nach unten steht. Der Nachteil dieser Bauweise ist, dass der tonnenschwere Kiel bei achterlichem Wind und räumlichen Kursen als Bremsklotz wirkt. Und das mag freilich niemand so gern. Till Linke ![]()
2018 hat die Crew der SY Passage Eisproben in der Arktik gesammelt und dabei ein neues arktisches Bakterium entdeckt. https://youtu.be/i-QYfWJwu8Y
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