Wir sind am Sonntagnachmittag in Reykjavik gestartet und liegen jetzt nach einem schnellen, aber anstrengendem Halbwindkurs bei gut 8 Windstärken und Böen über 40 Knoten bei Talknafyorour (65°37,3‘N/023°50,2‘W) vor Anker.
Die Mannschaft hat tapfer durchgehalten, obwohl fast jeder unter Seekrankheit litt, beinahe unvermeidlich am ersten Tag auf See unter derartigen Bedingungen, bevor man Seebeine erlangt hat. Der ursprüngliche Plan zunächst einen Fjord südlich von Kulusuk anzulaufen musste aufgrund der Wettersituation aufgegeben werden zugunsten der Absicht den Kangerlusuak Fjord nördlich von Kulusuk anzusteuern. Für Dienstagabend bis Mittwochabend verunmöglicht ein kleines, aber mörderisches Tief mit Zentrum Kulusuk jegliche Annäherung an die Ostküste Grönlands - auflandige Böen weit über 50 Knoten und Packeis wäre eine mörderische Kombination. Deswegen werden wir zumindest bis Dienstagabend in den isländischen Fjorden verbringen, bevor wir den Sprung über die Denmark-Strait nach Grönland in Angriff nehmen. Heute musste die Mannschaft das seemänische Knoten eines Palstekes üben – um die Hände zu schonen selbstverständlich nicht mit grobem Tauwerk, sondern mit al dente gekochten Spaghetti (Barilla Nr. 5), was besonderes Feingefühl erforderte. Gestern Mittag sind wir bei traumhaftem Wetter in Reykjavik ausgelaufen und segeln jetzt bei leichten Winden und ruhiger See Richtung Norden. Jetzt ist es 6 Uhr morgens (unterscheidet sich nicht sonderlich von Mitternacht) und an Steuerbord ragt der schneebedeckte Snaefellsjökull auf... Die «SY Passage» ist beinahe startklar, nur das Gross-Segel und die Rollfock müssen noch angeschlagen werden. Roger und Alex schlagen das Gross-Segel an. Hier beim Einschieben und Sichern der durchgehenden Segellatten. Unser isländischer Kumpel Fredrik gibt uns mit seinem 600 PS Whale-Watching Powerboat das Geleit aus dem Hafen von Reykjavik.
«Sehr hohe Wellenberge mit langen überbrechenden Kämmen. See weiss durch Schaum. Rollen der See schwer und stossartig. Sicht durch Gischt beeinträchtigt.» So beschreibt die Beaufort-Skala den Sturm mit 53 Knoten Wind bzw. Windstärke 10, den wir gemäss Anemometer während der Hong Kong-Challenge im englischen Kanal erlebten. Allerdings segelten wir damals mit 7 bis 11 Knoten Geschwindigkeit hart am Wind; von der auf dem Boot gemessenen Windstärke müssen wir also nochmals durchschnittlich 8 Knoten Fahrt abziehen.
Bleiben also noch 45 Knoten wahre Windstärke oder 9 Beaufort. In Deutschland gilt das schon als «Sturm», die Engländer begnügen sich mit «strong gale». Nun sitzt das Anemometer aber an der Spitze des Masts, bei der SY «Passage» also 24 Meter über Meer. Die Beaufort-Skala indes bezieht sich auf eine Messhöhe von bloss 10 Metern. Der Korrekturfaktor beträgt 1.09, das heisst von den 45 Knoten bleiben noch 40 übrig – 8 Beaufort. Und das ist selbst in Deutschland nur noch ein «stürmischer Wind». Na gut, kein echter Sturm. Doch selbst bei «stürmischem Wind» können im englischen Kanal Zustände herrschen, die sich lediglich punkto Temperatur von einem Aufenthalt in der Hölle unterscheiden. Grund dafür sind die zwar relativ kleinen, aufgrund der Strömung und der geringen Wassertiefe aber sehr steilen Wellen – oft doppelt so steil wie die mächtigen Wogen auf den Weiten des Atlantiks. Die Vordeck-Crew wurde von überkommenden Brechern hin und her geschleudert und musste die Selbstauslöser ihrer Schwimmwesten deaktivieren, um einen Segelwechsel in Angriff nehmen zu können. Unter Deck war es zwar weniger windig, aber nicht minder schwierig – «etwa so, als würde man sich am Klöppel von Big Ben festklammern, während der Glöckner Sturm läutet», wie es ein Crewmitglied später beschrieb. Mitten im Chaos von tropfnassen Segeln und Erbrochenem wälzte sich ein hysterisch heulender Gast in Todesangst, assistiert von seiner Gattin, die ihn mit der professionellen Gelassenheit einer Krankenschwester zu beruhigen suchte. Unser Schiff liess sich von dieser «Mütze voll Wind», wie die hartgesottenen Nordsee-Anrainer solche Situationen bezeichnen, nicht beeindrucken. Wir aber schon. Wie weitere acht der insgesamt elf teilnehmenden Yachten am Hong Kong-Challenge drehten auch wir schliesslich ab und suchten, vor dem Wind laufend, Zuflucht in Cherbourg. Till Linke «Gentlemen don't sail to windward», sagen die Briten. Niemand kreuzt freiwillig gegen den Wind an. Raumschots zu segeln ist wesentlich angenehmer. Seit Kolumbus’ Zeiten folgen die globalen Segelrouten deshalb räumlichen Kursen. Mehrrumpfboote – von den polynesischen Auslegerkanus bis zu den heutigen Tri- und Katamaranen – sind die idealen Vehikel dafür. Sie setzen ausschliesslich auf Formstabilität, stützen sich also auf ihre weit auseinanderliegenden Rümpfe und können so auf Kielballast verzichten. Sie sind äusserst stabil, allerdings nur bis zu einem kritischen Neigungswinkel von 50 bis 70 Grad. Danach kippen sie um und bleiben liegen wie eine Schildkröte, die man auf den Rücken dreht.
Moderne Einrumpfyachten suchen einen Kompromiss zwischen Gewicht und Stabilität. Sie sind auf räumlichen Kursen schnell und kompensieren fehlenden Kielballast mit der Formstabilität eines breiten Rumpfes. Dieser bietet zugleich Platz für einen komfortablen Salon, den sich die meisten Eigner wünschen – ein schwimmendes Wohnzimmer. Breite Rümpfe bergen aber ein inhärentes Gefahrenpotential: Ähnlich einem Katamaran neigen sie zu inverser Stabilität, dem besagten Schildkrötentrauma also. Und wenn das WC dann von der Decke hängt, ist nicht bloss der Salon-Komfort futsch. Die Vernachlässigung der Seetüchtigkeit beim Yachtbau ist nachvollziehbar. Denn Stürme, die das Schiff überfordern, bevor die Crew schlapp macht, sind selten. Obwohl ich etwa 50'000 Seemeilen in Nordsee und Nordatlantik versegelt habe, bin ich noch nie in einen ausgewachsenen Sturm geraten. Die höchste Windgeschwindigkeit, die das Anemometer der SY «Passage» je angezeigt hat, betrug 65 Knoten, also gut 120 km/h. Dieser Wert entspricht der Windstärke 12, gilt als «Orkan» und markiert das Ende der Beaufort-Skala. Diese liefert folgende Beschreibung dafür: «Luft mit Schaum und Gischt angefüllt. Die See vollständig weiss. Jede Fernsicht hört auf.» Kann ich mich brüsten, einen Orkan überlebt zu haben? Mitnichten. Zunächst mal waren die 65 Knoten nicht die durchschnittliche Windgeschwindigkeit, auf die sich die Beaufort-Skala bezieht, sondern ein Maximalwert, verursacht durch eine besonders heftige Bö. Die Anzeige pendelte damals zwischen 48 und 58 Knoten. Nehmen wir als Durchschnitt 53 Knoten – das wäre dann Windstärke 10 und somit nach Sir Francis Beaufort, der die Skala erfand, «nur» noch ein ausgewachsener Sturm. Till Linke Autos sind in den letzten 50 Jahren beinahe so sicher geworden wie das heimische Bett. Für Segelyachten trifft das leider nicht zu. Wir brauchen bloss einen Blick auf die Statistik des Sydney-Hobart Race zu werfen, der vielleicht härtesten Offshore-Regatta überhaupt, deren Kurs quer durch die mörderische Tasmanische See führt. 1956 liefen von 30 teilnehmenden Schiffen noch 28 heil ins Ziel, die Erfolgsrate lag also bei 93 Prozent. 1963 betrug sie noch 77 Prozent und sank dann kontinuierlich bis auf den Tiefpunkt von 31 Prozent im Jahr 1984. Von den 150 teilnehmenden Booten kamen also nur noch knapp ein drittel durch.
Beim Fastnet-Race 1979, an dem 316 Yachten teinhamen, kamen 15 Segler ums Leben. Einige konnten ihre havarierten Boote zwar mit der Rettungsinsel verlassen, starben dann aber an Erschöpfung. Fünf der verlassenen Boote wurden später entmastet und halb voll gelaufen, aber immer noch schwimmend aufgefunden. Aus solcher Erfahrung stammt die Seglerweisheit: Man steige nie in eine Rettungsinsel hinunter, sondern klettere immer in eine hoch – nämlich erst dann, wenn einem das Schiff unter den Füssen wegsackt. Ein Grund für die schwindende Seetüchtigkeit moderner Segelyachten sind die modernen Kommunikationsmittel. Früher musste sich die Crew einer ozeantauglichen Yacht auf die Seetüchtigkeit ihres Schiffes verlassen können. Heute kann sie per Funk oder Satellitentelefon einen Notruf absetzen und warten, bis sie von einem nahen Frachter oder einem Helikopter geborgen wird. Diese Entwicklung hat den marktgetriebenen Trend zu schnellen und dennoch wohnlichen Yachten begünstigt. Die beiden Eigenschaften lassen sich konstruktiv vereinbaren, indem man sehr breite Schiffe mit geringem Kielgewicht baut. Die Stabilität einer klassischen Yacht beruht auf dem Prinzip des Stehaufmännchens. Sie ist schmal gebaut und mit einem schweren Kiel ausgestattet, der im Extremfall bis zu 70 Prozent des Gesamtgewichts ausmacht. Eine brechende Welle von ausreichender Grösse kann eine solche Yacht wohl auf den Kopf stellen, aber das Schiff richtete sich aus jeder Position wieder auf – selbst wenn der Mast senkrecht nach unten steht. Der Nachteil dieser Bauweise ist, dass der tonnenschwere Kiel bei achterlichem Wind und räumlichen Kursen als Bremsklotz wirkt. Und das mag freilich niemand so gern. Till Linke
2018 hat die Crew der SY Passage Eisproben in der Arktik gesammelt und dabei ein neues arktisches Bakterium entdeckt. https://youtu.be/i-QYfWJwu8Y
In den letzten Tagen haben wir den 23-jährigen Volvo-Penta mit 50 PS durch einen brandneuen Volvo-Penta D2-75 ersetzt, der 75 PS auf den Propeller bringt und dies schon bei tiefen Tourenzahlen. Heikle Situationen, wie Anker- oder Anlegemanöver bei Windstärken über 35 Knoten, die mit ein bisschen Welle das Schiff praktisch zum Stillstand brachten, sollten in Zukunft leichter zu bewältigen sein.
Der Einbau war nicht ganz unproblematisch, angefangen mit dem Rausschleppen des alten und Reinbugsieren der neuen Maschine, dann mit dem Anschluss des Auspuffs und zudem mussten wir neue Fundamente aus Delrin schneiden, damit das neue Teil mit grösserer Ölwanne reinpasste. Der neue Motor ist nicht nur leiser und stärker, er verfügt im Unterschied zum alten mit einem 45 Ampere Alternator über zwei Alternatoren, 60 und 110 Ampere, sodass unter Motor beide Batteriebänke gleichzeitig und schnell geladen werden können. Von den Arabern hatten die europäischen Seefahrer im 15. Jahrhundert gelernt, nicht nur den Polarstern, sondern auch die Sonne «zu schiessen» und aufgrund des Sextant-Winkels überall auf der Welt die geografische Breite auszurechnen. Die Positionsbestimmung Nord-Süd war also gelöst.
Bis ihnen die Orientierung auch auf der West-Ost-Achse gelang, mussten sich die Seefahrer bis Mitte des 18. Jahrhunderts gedulden. Um die geografische Länge zu bestimmen, muss man nämlich die Zeit mitnehmen. Man braucht eine bordtaugliche Uhr. Die Erde dreht sich bekanntlich in 24 Stunden einmal um ihre Achse. Ein Punkt auf dem Äquator legt in dieser Zeit also 40’000 Kilometer zurück. Macht pro Stunde 1'666 Kilometer oder pro Minute 28 Kilometer. Erst auf diese Distanz ist Land überhaupt zu erkennen. Nur ein Navigator, dessen Uhr auf die Minute genau lief, fand demnach seine Insel, ein Anderer nicht. Pendeluhren taugten auf schwankenden Schiffen wenig, und bei den dannzumal gebräuchlichen Sanduhren kumulierten sich die Fehler. Die britische Admiralität setzte deshalb ein Preisgeld von sagenhaften 20'000 Pfund für die Lösung des Längenproblems aus. 1773 schliesslich konstruierte der Uhrmacher John Harrison einen seetauglichen Chronometer, der nach einer Atlantiküberquerung nur gerade fünf Sekunden hinter der Zeit her hinkte. Heute liefert ein GPS genau zwei Zahlen: die geografische Breite und die geografische Länge. Von John Harrison's Uhr bis zum GPS – oder gar zur elektronischen Seekarte, die Position und Kurs gleich auch grafisch abbildet – blieb aber ein weiter Weg. Noch in den 1950er Jahren verzichtete der berühmte französische Einhandsegler Bernard Moitessier aus Geldnot auf den kostspieligen Schiffschronometer. Der «voilier-philosophe» verliess sich bei der Längenbestimmung auf die Seevögel. Ihr lärmendes Gechrei, so dachte er, würde ihn schon rechtzeitig vor drohenden Küsten warnen. Bis er eines Nachts nicht vom Geschrei der Seevögel, sondern von donnernder Brandung aus dem Schlaf gerissen wurde. Sekunden später zerschellte seine Jacht auf einem Riff. Till Linke Im holländischen Breskens, unserem vormaligen Winterlager, kursiert die Legende einer Motorjacht, die einst in sattem Tempo in die Marina rauschte. Kein Mensch war an Bord, der Eigner war irgendwo im Englischen Kanal über Bord gefallen. Sein schwimmendes Wohnzimmer hatte sich brav von digitalem Wegpunkt zu Wegpunkt gehangelt, bis es am heimischen Liegeplatz ungebremst in den Steg krachte.
Dank moderner Elektronik ist das einstige Kunsthandwerk der Navigation so verführerisch einfach geworden, dass es zur Nachlässigkeit verleitet. Die meisten Jachten sind mit an GPS gekoppelten Autopiloten ausgerüstet, die es dem Schiff ermöglicht, selbstständig einer vorprogrammierten Route zu folgen. Bis ins 15. Jahrhundert orientierten sich die europäischen Seefahrer am Polarstern. Der Gnade des Zufalls verdanken wir es, dass dieser in der gedachten Verlängerung der Erdachse liegt. Der Polarstern gibt Auskunft über die geografische Breite, sagt dem Seemann also, wie weit südlich oder nördlich er sich befindet. Der Navigator braucht dazu bloss mit dem Sextanten den Winkel zwischen Stern und Horizont zu messen. Die Breitenbestimmung via Polarstern funktionierte allerdings nur in nördlichen Gefilden. Je weiter die europäischen Seefahrer gen Süden vorstiessen, desto tiefer stand der Polarstern am Firmament. Und spätestens bei den Kanarischen war er ohnehin nicht mehr zu sehen, weil der Dunst sein Flimmern verschluckte. Die arabischen Seefahrer waren den Europäern weit voraus. Sie orientierten sich schon seit frühster Zeit an der Sonne. Sie massen den mittäglichen Winkel zwischen Sonne und Horizont und kalkulierten daraus die Breite. Zu diesem Zweck benutzten sie komplexe astronomische Tabellen. Nach der Reconquista im 15 Jahrhundert gelangten diese Tabellen in die Hände der Europäer. Dies war vielleicht der entscheidendste Technologietransfer in der Geschichte des Westens. Denn danach erkundeten Vasco da Gama, Magellan und Kolumbus mithilfe arabischen Know-Hows die ganze Welt und legten so den Grundstein zur westlichen Dominanz. Warum die arabischen Seefahrer ihre uralte navigatorische Überlegenheit nicht schon viel früher ausschöpften, warum sie zuhause blieben und nicht ins Unbekannte vorstiessen – das zählt für mich zu einem der grossen Rätsel der Kulturgeschichte. Till Linke Island-Törns
Wir starten am 18. Mai 2019 in Reykjavik und folgen der zerklüfteten Fjordlandschaft entlang Islands Westküste in Richtung Norden, wobei wir den spektakulären Snaefellsjökur-Gletscher passieren. Ob wir dann ausgiebig den von Hunderten von Inselchen übersäten Bredafjord unter Segeln erkunden und uns Zeit für Wanderungen und Kajaktouren von der vor Anker liegenden «Passage» aus nehmen, oder ob wir – von günstigen Winden getragen – weiter nördlich bis Isafjördur vorstossen, machen wir vom Wetter und von den Wünschen der Crew abhängig. Start- und Zielort der Wochen zwei, drei und vier überlassen wir dem Wettergott. Es werden entweder Olavsvik, Isafjördur oder Akureryri sein, die sich von Reykjavik leicht mit einer Fahrt per Mietwagen oder Bus durch die wunderschöne Landschaft Islands erreichen lassen. Wir beschränken uns somit auf die West- und die Nordküste, die im Unterschied zur Südküste Islands, welche flach und seicht ausläuft, von zerklüfteten Fjorden gesäumt und deswegen nicht nur landschaftlich reizvoller sind, sondern bei stürmischem Wetter immer auch eine geschützte Bucht oder einen Fluchthafen bieten. Die fünfte Woche vom 15. bis 22. Juni führt von einem Ort an der Nordküste – entweder Husavik oder Akureyri, einer beliebten Whalewatching-Destination – zurück nach Isafjördur, wo wir eine Woche Pause für Wartungsarbeiten einschalten, bevor wir zu unserer Expedition nach Ostgrönland aufbrechen. Wer möchte, kann diesen Hafenaufenthalt an Bord verbringen und Kajaktouren oder Landausflüge unternehmen. Das System der flexiblen Start- und Zielhäfen erlaubt uns, viel besser auf das Wetter einzugehen und vorteilhafte Winde zu nutzen. Und es erspart uns mühseliges und zeitraubendes Aufkreuzen. Zudem müssen wir keine zeitliche Sicherheitsreserve einplanen, um rechtzeitig im Zielhafen einzutreffen. Ihr könnt eine beliebige Anzahl Wochen zwischen einer und fünf buchen. Ostgrönland-Expedition Während mittlerweile jedes Jahr Dutzenden von Segelyachten die Westküste Grönlands anlaufen, wagt sich kaum jemand an die von Fjorden zerfurchte und mit gerade mal 2000 Seelen dünn besiedelte Ostküste. Die Gründe sind vielfältig. Erstens ist diese Region auch heute noch kaum, bestenfalls mangelhaft kartografiert. Dank GPS wissen wir zwar jederzeit ganz genau, wo wo wir uns befinden. Das hilft aber wenig, wenn wir nur erahnen können, wo die Küste verläuft. 2016 waren wir im Scoresby-Sund meilenweit über Berge und Hügel gesegelt – zumindest gemäss den dänischen Seekarten und dem davon abgekupferten elektronischen Kartenmaterial. Zweitens strömen jede Sekunde 150’000 Tonnen Packeis durch die Denmark-Strait zwischen Island und Ostgrönland Richtung Süden. Die Ausdehnung und Dichte dieses Eisgürtels variiert von Jahr zu Jahr, und selbst für eine robuste Segelyacht wie die «Passage» ist dieser Gürtel erst im Spätsommer passierbar. Drittens produzieren die von Grönlands immensem Eispanzer gespiesenen Gletscher Unmengen an Eisbergen, die sich durch die Fjorde an die Küste ergiessen. Diese Törns haben somit Expeditionscharakter, bieten aber all jenen, die eine Reise ans Ende der Welt antreten wollen, Szenerien von unbeschreiblicher Schönheit. Die drei Törns Isafjördur-Kulusuk-Isafjördur lassen sich einzeln oder zusammenhängend buchen. Für die rund 350 Seemeilen von Isafjördur bis Kulusuk benötigen wir zwischen zwei und drei Tagen, es wird also auch durch die – im Sommer nicht existierende – Nacht gesegelt. Je nach Dichte des Packeises werden wir zunächst einen südlicheren Fjord anlaufen, z.B. den Sehested-Fjord bei Llivertuaq (62°57'N/041°35'W). Der einwöchige Törn Kulusuk-Kulusuk wird uns in das von Wellengang geschützte Sermilik-Fjordsystem führen und ist somit auch für Seglerinnen und Segler geeignet, die sonst unter Seekrankheit leiden. Falls das Packeis dies erlaubt, werden wir auf dem Törn Kulusuk-Isafjördur auch noch weiter nördlich liegende Fjorde, vielleicht sogar den mächtigen Kangerlussuaq-Fjord befahren. Von Isafjördur bis Scoresby Sound sind es rund 300 Seemeilen, also etwa zwei Tage, von dort nach Reykjavik nochmals rund 450 Seemeilen, also etwa drei Tage. Der verzweigte Scoresby Sound ist das grösste Fjordsystem weltweit und reicht über 200 Kilometer ins Inland hinein. Er wird häufiger von Walen als von Menschen besucht. Er bietet traumhaftes, aber auch sehr anspruchsvolles Segeln in seinen Seitenarmen, die zumeist von schroffen Bergketten gesäumt sind, deren Gipfel bis zu 2000 ü. M. Metern reichen. Wir werden genügend Zeit für Kajaktouren zwischen Eisbergen und und Wanderungen an Land haben. Und falls – einmal mehr – das Packeis dies erlaubt, werden wir versuchen, auch den Kong Oscar-Fjord weiter nördlich zu erkunden. Matterhorn, Grand Canyon, Ayer's Rock – sie alle sind spektakulär, aber zu Touristenattraktionen geworden. Sie zu besuchen, ist längst keine Reise ans Ende der Welt mehr. Dieses Schicksal wird auch die Eis- und Felslandschaft Grönlands ereilen. Der Jakobsgletscher in der westgrönländischen Diskobucht beispielsweise, der täglich 50 bis 70 Millionen Tonnen Eisberge produziert – Ungetüme, die mit der Strömung nach Süden treiben, jahrelang und oft so weit, dass sie einst Transatlantik-Liner wie die «Titanic» versenkten –, dieser Gletscher kalbt inzwischen nicht mehr in arktischer Stille vor sich hin, sondern tut dies unter scharfer Beobachtung. Sein kanonendonnerlautes Bersten und Krachen wird heute von unzähligen Handy-, Foto- und Videokameras festgehalten; das nahe Städtchen Ilulissat wird mehrmals täglich angeflogen. Im April und Mai sind wir mit dem ehemaligen Whitbread-Racer «SY Passage» die norwegische Küste hochgekreuzt, haben in entlegenen Fjorden geankert und die vielgerühmten Lofoten besichtigt. Wunderschön – doch immer, wenn wir eine Huk passierten und sich der Blick auf die schmucken Häuschen am Ufer öffnete, wähnte ich mich am Greifensee mit Sicht auf die Agglomeration von Birmensdorf. Und dann – zwei Tage, nachdem wir von Tromsø mit wechselhaften Winden, die dauerndes Trimmen und Segelwechseln erforderten, Richtung Norden geglitten waren und sich die norwegische Küste schon längst im Dunst der Barentsee aufgelöst hatte – dann tauchte Bjornoya, die Bäreninsel, aus dem Nebel auf. Bjornoya liegt auf ungefähr 74° 30' Nord und 19° 00' Ost und damit etwa gleich hoch wie der nördlichste Punkt der Westpassage, die um die Nordspitze des amerikanischen Kontinents herum führt. Nüchtern betrachtet ist die Bäreninsel nichts Besonders: ein paar Felsklippen, die aus dem dunklen Meer ragen, von der Brandung zerfressen und von Abertausenden von Möven vollgemacht. Niemals wird ein Investor auf die Idee kommen, hier einen Hotelkasten hinzupflanzen. Und dennoch: Hat man alle Widrigkeiten der Barentsee – Baumstämme, die russischen Flössern entwischt sind; Buckel-Wale, die sich nicht die Mühe machen, einem Segelschiff auszuweichen; im Frühjahr vielleicht auch Growler, Eisbergstücke von der Grösse eines Autos und dem Gewicht eines Lastwagens –, hat man also diese Widrigkeiten durch eine glückliche Fügung umschifft und dabei nicht vergessen, den Himmel skeptisch im Auge zu behalten – denn die Barentsee als bevorzugte Schiffsautobahn wird von üblen Tiefs aus Island heimgesucht, und heute noch verschlingen die Weltmeere bekanntlich jede Woche zwei bis drei grosse Frachtschiffe –, wird man also wie wir von all dieser Unbill verschont und gleitet bei freundlichen Winden zu den Klängen von Hendrix’ «Rainy Day, Dream Away» mit einem Glas Single Malt in der Hand über die versunkenen Gebeine der Opfer jener Seeschlacht hinweg, die 1942 hier zwischen deutschen und britischen Kanonenschiffen stattfand…
…und dann taucht Bjornoya, die Bäreninsel, auf, einsam und verlassen, von Legenden umrankt, welche von Walfängern erzählen, die einst dort strandeten oder in den furchtbaren Winterstürmen der Barentsee zerschellten, Geschichten auch von einem jähzornigen Deutschen, der in den 30er Jahren die Insel besetzt hielt, Walrosstran einkochte und jedes Schiff, das in seinem Revier ankern wollte, mit der Flinte begrüsste – dann… ja, was dann? Wie soll man das Gefühl beschreiben, das sich beim Anblick Bjornoyas einstellt? Es ist vielleicht nicht ganz so stark wie das Gefühl des Junkies, der sich nach langem Darben endlich wieder einen Schuss setzt, doch eines ist man sich nun im Klaren: Birmensdorf ist weit weg. Die Bäreninsel ist das Tor zu einer anderen Welt – ob Himmel oder Hölle, das wird sich noch herausstellen. Heute, zwei Monate später, kann ich sagen: Der Trip war beides. Die Hölle lasse ich vorerst einmal weg. Sie wird Thema eines späteren Blogs sein, in dem ich auch einige Episoden zum Besten geben wurde, die nicht zu meinem Ruhm gereichen. So zum Beispiel der Versuch, den 80. Breitengrad zu überqueren und auf diese Weise (zumindest für ein paar Tage) das nördlichste Segelboot der Welt zu sein – was uns zwar gelang, denn wir rauschten unter vollen Segeln mit neun Knoten Richtung Nordpol über die imaginäre, einzig auf dem GPS sichtbare Linie… aber wozu? Zum Aufschneiden, zuhause in Birmensdorf? Dort oben gab es nichts zu sehen. Wir hätten besser mehr Zeit in den nördlichen Fjorden von Spitzbergen verbracht. Oder wären noch weiter bis zur Packeisgrenze vorgestossen. Doch dazu reichte die Zeit nicht. Die Crewmitglieder hatten ihre Flüge gebucht, Job und Karriere warteten, und die Kleinen sehnten sich nach ihrem Papa oder ihrer Mama. Birmensdorf hatte uns im hohen Norden wieder eingeholt. Wir haben im Haringvliet alle Manöver trainiert, Super-Wind zwischen 13 und 24 Knoten, alles läuft gut, vor Anker wunderbar gespiesen, Kajak-Ausflug. Als Nächstes gehts durch die Schleuse ins offene Meer Richtung Bergen. |
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